Die Liebe ist eine Kunst, das hat schon Erich Fromm beschrieben. Niemand lehrt sie uns, im Gegenteil: oft sind es gerade unsere Eltern und wichtigen Bezugspersonen, die uns (oft ungewollt) hinderliche Prägungen mitgeben.
Es hängt stark vom eigenen Selbst und Selbstbewusstsein ab, ob Liebe gelingt.
Als Erwachsene verstehen wir dennoch manchmal nicht, warum wir in Beziehungen nicht ankommen. Warum wir Angst vor zu viel Nähe und zugleich große Sehnsucht danach haben. Wir entwickeln Strategien zur Schmerzvermeidung oder geraten immer wieder ins eigene Drama - über Klammern und Co-Abhängigkeit bis hin zu Streitsucht und Dominanz.
Oft finden wir sogar Menschen, mit denen wir diesen ‚Tanz‘ immer wieder tanzen können, weil sie unser Gegenstück sind und genau unsere Ängste triggern. Es geht etwa um die Angst vor dem Verlassenwerden, um das Gefühl, nicht gut genug zu sein oder zu viel zu wollen. Im Kern ist also der eigene Selbstwert berührt - und oft hat das eher wenig mit der anderen Person zu tun.
Das Ursache findet sich oft in der Kindheit.
Wir haben wahrscheinlich erlebt, dass die Menschen, von denen wir abhängig waren, unsere Bedürfnisse nicht erfüllt haben - möglicherweise hatten sie dafür aus ihrer Sicht gute Gründe und Absichten. Es genügt aber, dass dies in der kindlichen Realität zu einem inneren Konflikt führt. Kinder suchen dann die Schuld für das Verhalten der Bezugsperson in der Regel bei sich.
Aus ‚Mein Bedürfnis ist falsch‘ wird ‚Ich bin falsch‘.
Wenn wir als Kinder nicht beruhigt wurden und unser System diese Überforderung nicht überwinden konnte, kann sich so ein Gefühl des Mangels und der Bedürftigkeit manifestieren, das der Selbstliebe und späteren Beziehungen im Wege steht. Denn da wir als Kinder selbst noch nicht in der Lage sind, für uns zu sorgen, löst die Nichtbefriedigung unserer Bedürfnisse eine tiefe Urangst gepaart mit Hilflosigkeit aus. Das kann zu einem Entwicklungstrauma und zu einem unsicheren Bindungsstil führen. Wir werden immer wieder versuchen, dieses Loch zu stopfen oder nicht zu fühlen.
Was Liebe vor allem braucht, ist ein gelassenes, geerdetes Selbst, das gewissermaßen in sich ruht.
Ein Selbst, das sich selbst liebt, läuft weniger Gefahr, von Ängsten und Mangelgefühlen getrieben und getriggert zu werden oder sich in Opferrollen und destruktiven Dynamiken zu verlieren. Ein Selbst, das sich sicher fühlt, kann vertrauen und sich öffnen und die andere Person in ihrer Individualität wahrnehmen und sehen.
Ein Schlüssel ist unser Nervensystem, das echte Begegnung und Interaktion nur möglich macht, wenn wir entspannt sind - und nicht im Kampf-, Flucht-, Beschwichtigungs- oder Totstellmodus. Es braucht den Mut, die eigenen Ängste, Bedürfnisse und Grenzen bewusst zu spüren, anderen mitzuteilen und vor allem auch zuzumuten. Denn nur so kann das Selbst ebenfalls wahrgenommen und in seiner Individualität gesehen und geliebt werden. Dann können wunderbarerweise auch alte Wunden heilen: durch eine tiefe Transformation, raus aus dem kindlichen in ein erwachsenes Selbst.
Der erst Schritt, um Selbstliebe zu entwickeln, ist ein tieferes Bewusstsein der eigenen Bedürfnisse und die radikale Übernahme der Verantwortung für das eigene Erleben.
Selbstliebe ist nur möglich mit einer freundlichen und achtsamen Hinwendung zu dem, was wir brauchen. Damit wir immer wieder Erleben dürfen, dass unsere Bedürfnisse nach Selbstwirksamkeit und Verbundenheit erfüllt sind. Dass wir uns lebendig und geerdet fühlen. Zugehörig und sicher.