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Interview: Bleibt wirklich nur die Trennung?




Wie erkenne ich, dass ich bereit bin, mich zu trennen? Wie fühlt es sich an, wenn eine langjährige Partnerschaft zu Ende geht? Wie komme ich durch den Schmerz und das Chaos - oder wie gelingt vielleicht sogar eine Trennung im Guten? Über all diese Fragen habe ich mit meiner Freundin und Kollegin Sigrun Wegner gesprochen, weil sie - anders als ich - diese Erfahrungen alle schon selbst machen durfte.

 

Liebe Sigrun, danke dass du heute da bist. Wir beide haben zusammen die Paarcoaching-Ausbildung zum evolutionary relationship coach bei Dr. Rouven Schneider gemacht und uns da auch schon intensiv mit dem Thema Trennung beschäftigt. Ich selbst habe in meinem Leben zwar schon große Beziehungskrisen, aber bisher noch keine partnerschaftliche Trennung erlebt. Deine Beziehungsgeschichte sieht ganz anders aus als meine. Daher interessiert mich: wie blickst du heute auf deine persönlichen Trennungserfahrungen zurück?

 

Das ist schon spannend. Als Du mir zur Vorbereitung die Fragen geschickt hast und ich durch die Brille der im ersten Teil diese Blog-Reihe beschriebenen vier Szenarien einer Beziehungskrise schaute, die wir bei Rouven kennengelernt haben, stellte ich fest, dass ich die ersten drei alle bereits erlebt habe.

 

Alles bleibt wie es ist

 

So war das in meiner ersten Ehe mit dem Vater meiner Kinder. Erst fünfundzwanzig Jahre alt war ich, als wir uns kennenlernten. Relativ zeitig fing unsere destruktive Dynamik an. Ich erinnere mich an eine Reise, wir waren erst drei oder vier Monate zusammen. Dort bin ich in einem Streit vor Wut aus einem Restaurant gerannt. Unsere Auseinandersetzungen waren meist sehr laut und geprägt von Ohnmacht. Irgendwie sprachen wir dabei zwei Sprachen, verstanden einander überhaupt nicht und so fühlte ich mich weder gesehen noch verstanden. Das war dann, als wenn bei mir die Sicherung durchbrannte. Ich war damals noch so unbewusst, hatte keine Ahnung, wie wir das hinbekommen sollen. Auch eine Eheberatung hat uns dabei leider nicht geholfen. Wir alle litten damals sehr darunter.

 

Dann kam der sogenannte „Retter im Außen“. Ich traf meine erste große Liebe aus der Schulzeit wieder. Auf einmal fühlte ich mich wieder lebendig, jede Zelle in mir vibrierte und ich verliebte mich erneut. Auf einer Dienstreise, bei der ich mich ihm traf, landeten wir dann im Bett.

 

Das passierte in einer Phase, in der ich von außen betrachtet alles hatte: ich machte in Teilzeit Karriere, wir hatten ein Haus, zwei tolle Kinder… Irgendwie hatte ich mir wohl eingeredet, es könnte alles für immer so bleiben – weit gefehlt. Am schlimmsten war für mich das Schuldgefühl, denn mit meinem Mann führte ich natürlich eine monogame Ehe.

 

Trennung im Chaos #1


Drei Tage später fuhren wir mit unseren Kindern und meinen Eltern in ein verlängertes Wochenende. Die Verheimlichung dessen, was da kurz vorher passiert war, fiel mir unglaublich schwer. Meine Nerven lagen blank. Und beim abendlichen Tanz, mitten auf der Tanzfläche, sagte ich meinem Mann, dass ich mich trennen möchte. Ich vermochte es einfach keine Minute länger, den eigenen inneren Druck und das Schuldgefühl auszuhalten. Das machte mich so wenig einfühlsam.

 

Du hast also gleich die Trennung ausgesprochen? Es war dir sofort klar, dass das „alles bleibt wie es ist“ gescheitert war?

 

Ja. Das war zum einen eine Affekthandlung, um den Druck des Schuldgefühls los zu werden. Und dann hatte ich auch den Glaubenssatz „Ich kann nur einen lieben.“ Da hatte ich noch keine Ahnung davon, was für ein großes und liebendes Herz wir haben können, wenn wir unsere Schutzmauern drumherum abbauen.

 

Ich glaube, es war mein Vater, der mir später sagte, dass er mir für diese Aktion, die mir in ihrer Brutalität noch heute sehr leidtut, eine geklatscht hätte. Und dann kam das PENG - die Trennung im Chaos. Da war so viel Schmerz und Fassungslosigkeit sowie Ohnmacht auf der Seite meines Mannes und ein „Nicht-wissen-wie“ auf meiner. Also ist uns der Trennungsprozess entglitten und unser Leben flog uns um die Ohren.

 

Gleichzeitig war ich auf einmal die Geliebte eines verheirateten Mannes. Was ich bisher nur aus Filmen kannte und ich mir für mich vorher so gar nicht vorstellen konnte.

 

Zumal du geglaubt hast, dass man nur einen Menschen lieben kann. Wie bist du damit umgegangen?

 

Laut seiner Aussage hat er nicht zwei geliebt, sondern nur mich. Allerdings fand er nie den richtigen Zeitpunkt für die Trennung von seiner Frau. Da er nicht in die Umsetzung kam, hätte ich entscheiden und mich trennen können. Heute würde ich von der Energiebilanz drauf schauen: gibt mir die Beziehung mehr Energie und Kraft oder kostet sie mich mehr. Damals konnte ich das jedoch noch nicht reflektieren und den entscheidenden Schritt tun.

 

Ich litt furchtbar unter der Unsicherheit und meiner gefühlten Ohnmacht. Also kam wieder ein „Retter im Außen“. In meinem Frust hatte ich mich bei Friendscout angemeldet. Dort lernte ich jemanden zum Reden kennen. Er gab mir das wunderbare Gefühl, gesehen zu werden, wichtig zu sein – nicht nur die Geliebte. Er ist später mein zweiter Ehemann geworden.

 

Trennung im Chaos #2

 

Ich habe sieben wundervolle Patchwork-Jahre in meiner zweiten Ehe erlebt. Unsere Bedürfnissysteme haben sehr gut gematcht. Alles war im Flow und unglaublich einfach. Aber dann entwickeln sich Menschen weiter und so fing es irgendwann an zu knirschen. Wir begannen zu streiten, bauten viel inneren Frust auf und entfernten uns immer weiter voneinander. Schließlich hat er sich fremdverliebt und es gab wieder eine Trennung im Chaos.

 

Für mich ist die Vorstellung von dem Chaos einer solch schmerzhaften Trennung sehr bedrohlich. Wie war das für dich? Wie kommt man da durch? Was hat dir geholfen?

 

Bei meiner zweiten Trennung erlebte ich wegen einer Retraumatisierung einen Totalzusammenbruch. Ich wurde eiskalt erwischt, erlebte plötzlich die ganze Wucht der Ohnmacht. Da war es ganz wichtig für mich, dass ich eine Psychotherapeutin an meiner Seite hatte und auch eine Nachbarin, die in ihrer Ausbildung zur psychotherapeutischen Heilpraktikerin war und mir während eines Nervenzusammenbruchs mit Panikattacken zur Seite stand. Meine Familie hat mir sehr geholfen, war immer für mich da, genauso wie Freundinnen. Und dann hat der Fokus auf die Neugestaltung meiner Wohnung, also mein neues Leben, mir sehr gutgetan. 

 

Ich durfte lernen: Das Leben gibt einem immer wieder die gleichen Aufgaben, damit man beginnt, sich damit zu beschäftigen und den Fokus zu sich zu holen. Hier war Veit Lindau eine große Inspirationsquelle für mich. Beispielsweise spricht er von der Faszination der fremden Baustelle. Damit meint er, wie leicht es uns fällt, den Fehler oder Grund für etwas beim anderen zu suchen und zu finden. „Wenn du nur …“, „nie tust du …“, „weil du immer …“ ... das kennen wir alle.

 

Nach dieser traumatischen Trennung begann meine Reise zu mir selbst. Es gab noch vier weitere, jeweils knapp einjährige Beziehungen. Entweder wurde ich mit Drama verlassen oder es entwickelte sich eine on/off Dynamik. Sogar Ghosting erlebte ich mehrfach.

 

Durch diese sehr schmerzhaften Prozesse habe ich erkannt: Es war mein Schmerz, meine durch ein nachgeburtliches Trauma verursachte Verlustangst, die integriert und damit geheilt werden wollte. Ich durfte lernen, dass ein Verlust zwar traurig, aber für mich als Erwachsene nicht mehr existenziell lebensbedrohlich ist. So habe ich zunehmend besser gelernt, mich zu halten und mit meinen Gefühlen zu sein.

 

Das klingt, als ob du durch deine chaotischen Trennungen auch gewachsen bist. Was wurde dadurch möglich?

 

Tatsächlich kam es einige Jahre später zu einem Wendepunkt in meiner Beziehungsgeschichte. Sehr einprägsam war in einer dieser vier Beziehungen ein spezielles Erlebnis. Ich war im Kino in dem Film „Gloria“, der mit eben diesem Song endet. An diesem Tag begann mein Partner, mich zu ghosten. Nach sieben Wochen ohne Nachricht von ihm, lief eines morgens „Gloria“ im Radio. Ich tanzte durch die Küche und fühlte mich frei, spürte die Magie des Augenblicks. Und just in diesem Augenblick hat er mich wieder kontaktiert.

 

… in dem Moment, wo du loslässt…

 

Ja, das ist magisch. Da fühlt nämlich auch der andere sich wieder frei.

 

Ihr wart also bis dahin immer noch miteinander verstrickt.

 

Ja, aber mit der Zeit wurde mir klar, das ist nicht die Partnerschaft, die ich mir wünsche. Daher entschied ich: Ich möchte mich in Liebe trennen.

 

Trennung im Guten 

 

Ich habe ihm mitten in einer erneuten Ghosting-Phase geschrieben, dass ich mit ihm in seinen Geburtstag reinfeiern und mich damit von ihm verabschieden möchte. Er sagte zu und wir erlebten einen wunderbaren und reflektierten Abend in Verbundenheit und Liebe, mit all dem, was wir vermögen und auch mit unserem Unvermögen. Nach einer zauberhaften Nacht bin ich gegangen und es war vorbei. Wir sind noch heute lose in Kontakt, mögen einander.

 

Was für eine reife und würdevolle Erfahrung, die zeigt, dass Beziehungen sich auch transformieren können. Vielen Menschen fällt es aber so schwer, loszulassen und ihren Bedürfnissen und Werten zu folgen. Warum ist das so, dass so viele Paare in unbefriedigenden Beziehungen verharren? Was ist deine Vermutung?


Ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass die meisten von uns keine Vorbilder haben, wie eine wache, erfüllte, gelingende Partnerschaft wirklich funktionieren kann. Wie kann das gehen, ohne das die Anziehung einschläft oder man sich permanent streitet und dadurch erschöpft? Was können wir tun, um unsere Liebe lebendig zu halten, im Kontakt miteinander zu bleiben, uns verbunden zu fühlen? Die Konflikte auch anzunehmen und konstruktiv durchzugehen, anstatt dass einem alles um die Ohren fliegt oder unter den Teppich gekehrt wird?

 

Und haben nicht viele sogar negative Vorbilder?

 

Genau. Dazu kommt, dass die alten Schubladen und Konventionen einfach nicht mehr funktionieren. Wir haben heute einen ganz anderen Anspruch an unser Glücksempfinden.

 

Gibt es denn so etwas wie eindeutige Anzeichen, dass die Trennung unvermeidlich ist und man nur noch „einen toten Gaul“ reitet? Und andersrum: Woran merkt man, dass der Trennungswunsch übereilt ist?

 

Ich kann nur raten, niemals im erregten oder gestressten Zustand solch eine Entscheidung zu treffen. Aus eigener Erfahrung heraus gibt es zwei Situationen, die für eine Trennung sprechen:

 

  1. Wir stecken fest im „Alles bleibt, wie es ist“. Nur einer von beiden ist veränderungsbereit, möchte sich auf den Weg machen oder ist bereits auf diesem unterwegs. Allerdings kann einer nicht die mangelnde Bereitschaft des anderen zur Veränderung kompensieren.

  2. Wenn die Energiebilanz negativ ist. Wenn das Trauma und der damit verbundene Schmerz einfach zu groß sind, kann dies zu einer Situation führen, dass beide sich lieben und auch beide offen sind für Veränderung, sich gemeinsam Unterstützung suchen. Und dennoch kostet das Miteinander mehr Kraft und Energie als die schönen Momente einem schenken.

 

Das resoniert sehr mit mir. Aber es ist ganz schön schwer, das auseinanderzuhalten. Ich erlebe das oft in meiner Praxis: „der andere arbeitet ja nicht an sich“ – diese Haltung kann ja auch ein Schutzmechanismus sein.

 

Auch hierfür ist die Kenntnis darüber, wie unser Nervensystem funktioniert, sehr wichtig. Darum ist dies auch ein integraler Bestandteil unserer Coachings. Ich darf lernen, mich genau zu beobachten:

 

Was liegt hinter dem Satz „der andere arbeitet ja nicht an sich“ für ein Gefühl? Häufig schwingt da ein Vorwurf mit, ich bin also schon wieder halb aktiviert und getriggert. Dem sollte ich dann zuerst nachgehen.

 

Können wir auch im entspannten Modus nicht miteinander reden? Fühle ich mich auch dann nicht gehört? Oder kann der andere mich vielleicht sogar hören und sehen, aber ich realisiere: so wie er Beziehung leben kann, ist es nicht mein Weg.

 

Wir dürfen lernen, liebevoll und voller Mitgefühl auf uns und den anderen zu schauen. Aus dieser Haltung heraus können wir dann auch eine gute Entscheidung treffen.

 

Am meisten interessiert mich jetzt natürlich zum Abschluss, noch einmal zu vertiefen: Was ist aus deiner Sicht das Geheimnis wie man es schafft, den Weg einer Trennung im Guten einzuschlagen? Welche Voraussetzungen braucht es dafür?

 

Hier braucht es radikale Selbstverantwortung, um aus der Opferhaltung herauszukommen und zu verinnerlichen: Ich bin Gestalterin meines Lebens.

 

In ruhigen Momenten darf ich immer wieder mein Herz aufmachen und voller Liebe auf den anderen schauen. Wir selbst wollen mit all unserem Vermögen und Unvermögen geliebt werden. Also darf ich mich darin üben, dies auch anderen zu schenken.

 

Meine Therapeutin hat mir damals eine Haltung, eine Sichtweise mit auf den Weg gegeben, die einer Frage entsprang, welche sie mir immer wieder gestellt hat: Kann er nicht oder will er nicht?

 

„In jedem Augenblick unseres Lebens tun wir das uns in diesem Moment Bestmögliche.“ Entscheide ich mich für diese Perspektive, so entstehen Milde und Mitgefühl. Für mich und den anderen.

 

Für mich ist Schuld eine Währung für Täter und Opfer. Diese ist dann vom Tisch.

 

Eine würdevolle Trennung – das ist ja sicher auch in der Umsetzung eine Herausforderung. All die widersprüchlichen Gefühle und Fragen, ob das der richtige Schritt ist - was habe ich versäumt oder falsch gemacht? Hast du noch einen Tipp für unsere Leser*innen, was dabei unterstützt?

 

Wenn im Kopf ein zu großes Durcheinander vor einer Entscheidung für oder gegen eine Trennung herrscht, unterstütze ich in meiner Praxis gern mit der sogenannten Motivationsanalyse.

 

Neben der professionellen Begleitung darf ich mir ganz viel Selbstfürsorge schenken und einen Raum schaffen, in dem alle Gefühle willkommen sind. Sie alle wollen gefühlt werden. Ich darf noch mehr Aufmerksamkeit darauflegen, mich zu verwöhnen mit all den Dingen, die meinem Körper und meiner Seele guttun. Davor, dabei und danach. Ich darf Freunde und Familie um Unterstützung bitten und diese mit offenem Herzen annehmen. Vielleicht möchte ich manchmal einfach bei einer guten Freundin oder einem guten Freund abtauchen und mich verwöhnen lassen. Und vielleicht gibt es in meinem Umfeld auch jemanden, mit dem ich vereinbaren kann, dass ich in der anspruchsvollsten Zeit 24h am Tag anrufen darf, mein Rettungsnetz für Notfälle. Und irgendwann werde ich dann spüren, was mein Weg ist.

 

Liebe Sigrun - vielen Dank für deine Offenheit und dieses tolle Gespräch, das sicher viele Menschen unterstützen wird.


 

Wie ist deine Beziehungsgeschichte und welche Erfahrungen hast du mit Trennungen gemacht? Wenn du sie teilen und damit andere inspirieren möchtest oder ihr euch Unterstützung wünscht, schreib mir gerne eine Email an hello@mutigundfreundlich.de oder buche hier einen Termin für ein kostenfreies Kennenlerngespräch (online):


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